Sonntag, 30. April 2017

Wenn das Denken sich herumtreibt.

aus scinexx

Tagträumen: Von wegen Fehler im System
Gedankliche Auszeiten sorgen für eine bessere Vernetzung des Gehirns

Mehr als nur loses Gedanken-Wirrwarr: Tagträume gelten gemeinhin als störende mentale Aussetzer. Doch solche Auszeiten haben auch etwas Positives. Denn wer seinen Gedanken regelmäßig bewusst freien Lauf lässt, bei dem arbeiten bestimmte Hirnregionen, die für die kognitive Kontrolle zuständig sind, besser zusammen. Tagträumen ist demnach alles andere als ein unkontrollierter Prozess - sondern kann im Gegenteil sogar beim Lösen von Problemen helfen.

Wer kennt das nicht: Am Schreibtisch im Büro sinnieren wir über den bevorstehenden Urlaub, planen auf dem Heimweg gedanklich schon das Wochenende durch oder grübeln beim Autofahren plötzlich darüber nach, ob wir wirklich die Haustür abgeschlossen haben. Immer wieder schweifen wir im Alltag mit unseren Gedanken von der Situation im Hier und Jetzt ab.
 
Passiert das in Momenten, die eigentlich unsere volle Aufmerksamkeit fordern, kann das gravierende Folgen haben - zum Beispiel im Straßenverkehr. Tagträumen gilt deshalb oft als Aussetzer in unserem kognitiven Kontrollsystem: ein Fehler im System, durch den wir für kurze Zeit nicht mehr Herr der Lage sind.
 

Bewusste Auszeit 

Doch Tagträumen muss nicht immer etwas Störendes sein. Wissenschaftler sehen inzwischen auch die positiven Seiten des Phänomens. Diese treten vor allem dann zu Tage, wenn wir uns ganz bewusst dafür entscheiden, unseren Gedanken nachzuhängen anstatt ungewollt und spontan abzuschweifen. 


So haben Verhaltensstudien unter anderem gezeigt, dass absichtliche Tagträume manchen Menschen dabei helfen können, ihre Gedanken zu ordnen. Ein Forscherteam um Johannes Golchert vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig hat nun herausgefunden, dass sich diese vorteilhaften Effekte gedanklicher Auszeiten sogar im Gehirn nachweisen lassen.

 
Stärkere Vernetzung

Für ihre Untersuchung befragten Golchert und seine Kollegen ihre Probanden zunächst zu ihrem tagträumerischen Verhalten. Dabei sollten diese selbst einschätzen, wie stark Aussagen wie: "Es passiert mir häufig, dass meine Gedanken spontan abdriften" oder: "Ich erlaube mir, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen" auf sie zutreffen. Mithilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) untersuchten die Wissenschaftler anschließend die Hirnstruktur der Studienteilnehmer. 

Die Auswertung offenbarte einen deutlichen Zusammenhang: "Wir haben herausgefunden, dass bei Menschen, die häufig gewollt mit ihren Gedanken abschweifen, der Cortex in bestimmten Regionen im Stirnbereich des Gehirns dicker ausgebildet ist", berichtet Golchert. 

Außerdem waren bei diesen Probanden zwei wichtige Netzwerke im Gehirn stärker vernetzt: das sogenannte Default-Mode Netzwerk, das besonders aktiv ist, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nach innen, auf Informationen aus unserem Gedächtnis richten und das sogenannte fronto-parietale Kontrollnetzwerk, das als Teil unseres kognitiven Kontrollsystems unseren Fokus stabilisiert und etwa irrelevante Reize hemmt. 

Kontrolle bleibt

Insbesondere diese stärkere Verknüpfung ist es, die das Tagträumen zu einem sinnvollen Prozess macht, glauben die Forscher. Denn durch die ausgeprägte Vernetzung könne das Kontrollnetzwerk stärker auf lose Gedanken einwirken und ihnen so eine stabilere Richtung geben. Das sei der Beleg dafür, dass unsere geistige Kontrolle im Falle des gezielten Tagträumens keineswegs aussetze, so das Team. 

"Unser Gehirn scheint hier kaum einen Unterschied darin zu machen, ob unsere Aufmerksamkeit nach außen auf unsere Umgebung oder nach innen auf unsere Gedanken gerichtet ist. In beiden Fällen ist das Kontrollnetzwerk eingebunden", sagt Golchert. Die Folge: Auch beim Tagträumen können wir konzentriert über zukünftige Ereignisse nachdenken oder sogar wichtige Probleme lösen. 

"Tagträume sollten also nicht nur als etwas Störendes betrachtet werden", so Golcherts Fazit. "Kann man sie gut kontrollieren, sie also unterdrücken, wenn es wichtig ist, und ihnen freien Lauf lassen, wenn es möglich ist, kann man den größtmöglichen Nutzen aus ihnen ziehen." (Neuroimage, 2017; doi: 10.1016/j.neuroimage.2016.11.025)

(Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, 13.04.2017 - DAL)


Freitag, 14. April 2017

Künstliche Intelligenz ist nicht objektiver als natürliche.

lesender Roboter Hubo
aus derStandard.at, 13. April 2017, 20:31

Auch künstliche Intelligenz kann Vorurteile entwickeln
Rassistische und sexistische Anwandlungen: Ein komplexes Sprachsystem "lernt" von seinen menschlichen Schöpfern

Princeton/Wien – Computersysteme werden künftig in immer größerem Ausmaß dafür herangezogen, wichtige Entscheidungen zu treffen. Wer soll wieviel für seine Krankenversicherung zahlen? Welchem Bankkunden sollte man einen Kredit lieber verweigern? Welcher Kriminelle könnte am ehesten wieder straffällig werden? Die Idee dahinter ist unter anderem, dass Computer im Unterschied zu Menschen ihr Urteil nicht auf Basis von vorgefassten Meinungen fällen – zumindest hoffte man das früher.

Überraschenderweise machen sich künstliche Intelligenzen (KI) aber durchaus dieselben Ressentiments zu eigen wie ihre Schöpfer. Ein Forscherteam um Aylin Caliskan von der Princeton University hat nun in einem KI-System nicht nur Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Hautfarben oder Geschlechtern festgestellt, sondern auch die möglichen Wurzeln dafür identifiziert.

GloVe kennt 2,2 Millionen Worte

Eine verbreitete Methode, Vorurteile zu messen, ist der Implizite Assoziationstest (IAT). Dabei sollen die Teilnehmer am Computer Worte anderen Begriffen zuordnen. "Blumen" werden dabei etwa in der Regel mit "erfreulich" kombiniert, den "Insekten" wird meist der Begriff "unangenehm" zugewiesen. Unter anderem anhand der Reaktionszeit der Probanden lassen sich Aussagen über das Vorhandensein unterschwelliger Vorurteile treffen.


Caliskan und ihre Kollegen modifizierten diesen Test und setzten ihn einem hochentwickelten KI-System vor. Dieser GloVe-Algorithmus (Global Vectors for Word Representation) kennt nicht nur 2,2 Millionen englische Wörter, sondern auch ihre semantischen Beziehungen untereinander. Seine Erkenntnisse hat GloVe gewonnen, indem er für jedes einzelne Wort in Texten aus dem Internet nachgesehen hat, welche anderen Begriffe im näheren Umkreis vorkommen. Das System "las" dafür im Web rund 840 Milliarden Worte. Das Ergebnis ist ein komplexes System aus semantischen Vektoren.



Vom Menschen gelernt

Der adaptierte Test mit der Bezeichnung WEAT (Word-Embedding Association Test) konnte nun nachweisen, dass GloVe bei seiner Lektüre menschliche Vorurteile in einem hohen Ausmaß übernommen hat. Als Quelle dieser Maschinen-Ressentiments identifizierten die Forscher im Fachjournal "Science" die gleichsam in die menschliche Sprache eingewobenen historischen Vorurteile und kulturellen Stereotypen.

So assoziierte die KI beispielsweise Begriffe aus der Kunst eher mit Synonymen für das Wort "Frau", während Mathematik großteils männlich konnotiert wurde. Außerdem war GloVe statistisch gesehen geneigt, Namen europäischer Herkunft eher mit positiven Eigenschaften zu verbinden als afroamerikanische Namen. Die Forscher überlegen nun, der KI ihre rassistischen und sexistischen Tendenzen auszutreiben, ohne dass dabei auch wichtige semantische Informationen verloren gehen. Bleibt nur zu hoffen, dass GloVe bei der Beseitigung seiner Vorurteile lernfähiger ist als der Mensch. (tberg)



Nota. - Das ist die Grenze maschineller Intelligenz und wird es immer bleiben: Ein Computer kann immer nur das, was ihm ein Mensch oder ein anderer von Menschen konstruierter Computer beigebracht hat. Das kann er vielfältig kombinieren, sicher schneller und gründlicher als sein Erbauer, der dann verblüfft glaubt, der Computer habe 'sich selber was ausgedacht'. 

In Bereichen, wo es ohnehin nur aufs Kombinieren und nicht aufs Erfinden ankommt - also überall, wo mathematische Symbole anwendbar sind -, bleibt dieses Missverständnis folgenlos. Doch wo immer der Computer im semantischen Bereich tätig wird, ist es ein gefährlicher Irrtum, dass er  selber denken könne! Semantik - das Reich der Bedeutungen - ist eine spezifisch und exklusiv menschliche, die spezifisch und exklusiv menschliche Dimension. 

Denn für wen kann irgendwas irgendwas bedeuten? Nur für den, der Zwecke verfolgt, und zwar in letzter Instanz selbstgewählte Zwecke: für einen, der etwas will. Und nur Menschen können etwas wollen, weil sie etwas wollen müssen. Weil ihnen nämlich in die offenen Welt, in die sie einmal aufgebrochen sind, die Evolution keinen angestammten Weg mitgegeben hat. Weil sie ihr Leben führen müssen.

Aber natürlich kann einem semantischen Computer genausogut wie einem bloßer Rechner ein Schaltfehler unterlaufen: Er spielt dann verrückt. Wer falsche Erwartungen an den Computer mitbringt, wird dann womöglich Wahnsinn mit Genie verwecheln, und das könnte böse Folgen haben.
JE 



 

Donnerstag, 13. April 2017

Auch Elefanten haben ein Bewusstsein von sich selbst.

 
aus Die Presse, Wien, 13.04.2017 um 10:21
Ein Elefant merkt, wenn er sich im Weg steht
Haben Tiere ein Gefühl dafür, dass und wer sie sind? Menschen lernen es früh, Elefanten können es auch. 



Aber dieser Test wurde auch kritisiert, weil es in der Natur so viele Spiegel nicht gibt – sieht man von den Wasserstellen ab –, und weil für viele Tiere das Auge nicht der vorrangige Sinn ist. Wie soll man dann herausfinden, ob einer weiß, wer er ist und wo er ist? Psychologen haben für Kinder einen Test entwickelt, bei dem sie auf einem Teppich stehen und einen Wagen schieben sollen. Aber der ist mit einer Schnur am Teppich fixiert, man kann ihn nur bewegen, wenn man vom Teppich herunter geht und sich daneben stellt.

Man muss sich Platz machen!

Kinder lernen das mit 18 Monaten. Und Elefanten können es auch: Joshua Plotnik (Cambridge) und Rachel Dale (VetMed Wien) sind nach Thailand gereist und haben zwölf Elefanten getestet, die für gewöhnlich Touristen spazieren tragen. Sie wurden auf einen Teppich gestellt und sollten ihren Mahouts einen Stock überreichen, aber wie der Wagen bei den Kindern hing der an einer Schnurr am Teppich. Die Tiere begriffen sehr schnell: In 48 Durchgängen gingen sie 42 Mal von der Matte. War die in Kontrollexperimenten nicht mit dem Stock verknüpft, taten sie das nun Überflüssige nur drei Mal (Scientific Reports 12. 4.).

„Das ist ein scheinbar einfacher Test, aber seine Implikationen gehen weit“, schließt Plotnik: „Die Elefanten haben verstanden, dass ihre Körper ihnen im Weg standen, deshalb gingen sie zur Seite. Das impliziert, dass sie sich selbst von Objekten in ihrer Umgebung unterscheiden können.“


Nota. - Da wurde kein unnatürlicher Spiegel benutzt, das stimmt. Aber die Versuche wurden auch nicht mit wilden Elefanten aus der afrikanischen Savanne veranstaltet, sondern mit abgerichteten asiatischen Arbeitselefanten, die seit mehreren Generationen im Dienste von Menschen stehen. 
JE






Freitag, 7. April 2017

Neues vom Gedächtnis.

 aus Der Standard, Wien, 7. April 2017, 18:24

Wie Herr Tonagawa die Gedächntnisforschung revolutioniert

von Klaus Taschwer

Boston/Wien – Ende 40 hatte Susumu Tonegawa alles erreicht, was man als Forscher erreichen kann: Er hatte als Immunologe die Vielfalt der Antikörper erklärt, wurde Professor am MIT, einer der besten Hochschulen der Welt, und erhielt 1987 auch noch den Medizinnobelpreis.

"Aus Angst vor Langeweile" habe er nach dem Nobelpreis beschlossen, etwas ganz anderes zu machen, wie er kürzlich im deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel erklärte. Tonegawa wandte sich der Hirnforschung zu, konkret: der Entstehung von Erinnerungen. In diesem Gebiet sind ihm und seinen Kollegen vor allem in den letzten fünf Jahren höchst spektakuläre Durchbrüche gelungen. Und in der aktuellen Ausgabe von "Science" berichtet er über Versuche, die bisherige Annahmen über die Bildung des Langzeitgedächtnisses erschüttern.

Susumu Tonegawa (hier im Jahr 2007) hat in den letzten Jahren unser Verständnis des Erinnerns erweitert und gezeigt, wie sich das Gedächtnis manipulieren lässt.

Eingriffe in die Erinnerung

Die fast schon beängstigenden Fortschritte, die der heute 77-Jährige und seine Kollegen am MIT und am Riken-Institut für Hirnforschung in Tokio machten, verdanken sich Weiterentwicklungen der sogenannten Optogenetik. Mit dieser Methode lassen sich durch feinste Lichtimpulse im Gehirn gentechnisch veränderter Versuchstiere einzelne Neuronen manipulieren, und damit kann man auch in die Erinnerung eingreifen.

world economic forum 
Susumu Tongegawa erklärt beim World Economic Forum 2016 die neuen Möglichkeiten, in die Erinnerung einzugreifen. 

Tonegawa und seinen Kollegen gelang es auf diese Weise unter anderem, den Mäusen falsche Erinnerungen mittels Lichtimpuls einzupflanzen: Die Tiere erhielten in einem Käfig einen Elektroschock, den sie sich merkten. Zugleich wurde ihnen mittels Lichtimpulsen die Erinnerung an einen anderen Käfig ins Gedächtnis gepflanzt. Das Resultat: Die Mäuse fürchteten sich auch im echten anderen Käfig davor, Elektroschocks zu erhalten.

Alzheimer-Mäuse erinnern sich wieder

Vor rund einem Jahr ließen Tonegawa und seine Kollegen mit einem Bericht in "Nature" über gleichsam gegenteilige Manipulationen aufhorchen: Es gelang ihnen bei Mäusen, die an Alzheimer erkrankt waren, Erinnerungen wieder zu aktivieren, die nicht mehr abgerufen werden konnten.

Im September des Vorjahrs wiederum verkündeten Tonegawa und seine Kollegen in "Science", dass sie im Mäusegehirn eine Region identifiziert haben, die der Sitz des sozialen Gedächtnisses ist. Bei den Nagern hat sich dieser neuronale Schaltkreis bereits manipulieren lassen: Mäuse behandelten danach ihnen bekannte Artgenossen wie fremde und umgekehrt. Offensichtlich ist, dass es diese Region für das soziale Gedächtnis auch beim Menschen gibt – und dass sie bei uns noch stärker entwickelt ist. Man kann sich leicht ausmalen, was passiert, wenn sich diese Hirnregion auch bei uns manipulieren lässt.

Erschütterung alter Vorstellungen

Der jüngste Streich von Tonegawa und seinen Teams nimmt sich dagegen nicht so spektakulär aus. Die neue Studie erschüttert aber immerhin die seit den 1950er Jahren geltenden Vorstellungen über das Langzeitgedächtnis. Bisher dachte man, dass sich zunächst im Hippocampus Erinnerungen in Form von sogenannten Engramm-Zellen bilden würden, die erst danach allmählich im präfrontalen Kortex, einer Großhirnregion, dauerhaft gespeichert würden.

Die neuen Versuche an Mäusen zeigten, dass sich parallel zu den Engramm-Zellen im Hippocampus von Beginn an auch solche im Großhirn bilden, was "überraschend war", so Tonegawa. In den ersten Tagen bleiben diese Zellen im Kortex indes inaktiv. Und wie die Forscher mittels optogenetischer Stimulation herausfanden, reiften die kortikalen Zellen nicht, wenn die Verbindungen zwischen dem Hippocampus und dem Großhirn unterbrochen waren.

Schematische Darstellung, wie Erinnerungen dauerhaft gespeichert werden: Am ersten Tag werden entsprechende Engramm-Zellen im Hippocamus (HPC), im präfrontalen Kortext (PFC) gebildet. Eine wichtige Rolle spielt dabei noch ein Teil der Amygdala (BLA), die für Angst zuständig ist, und der medial-entorhinale Kortex (MEC). Nach dem zwölften Tag ist die Erinnerung vollständig in den Kortex gewandert.

Für Tonegawa, dem es nicht an Selbstbewusstsein mangelt, stellen die neuen Erkenntnisse nicht nur einen großen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Wissen dar. Sie könnten beispielsweise auch Alzheimer-Patienten helfen. Denn wie man aus den früheren Tierversuchen weiß, speichern selbst Alzheimer-Mäuse Erinnerungen – sie können nur nicht mehr darauf zugreifen. (tasch, 7.4.2017)

Link
Science: "Engrams and circuits crucial forsystems consolidation of a memory"



Nota. - Die fürs Gedächtnis entscheidende Leistung des Gehirns ist nicht das Speichern, sondern das Wiederfinden: Das macht die eine Hälfte unserer Intelligenz aus. Die andere Hälfte ist der Humor.
JE 

 
 https://www.youtube.com/watch?v=P2YMM8EFQh8