aus scinexx
Warum wir Geistesblitzen vertrauen sollten
Aha-Momente hat jeder schon erlebt: Plötzlich scheint dabei die Lösung eines Problems wie aus dem Nichts aufzutauchen. Aber wie verlässlich sind diese Geistesblitze? Das haben Forscher nun überprüft. Ihr Ergebnis: Lösungen, die auf solchen Aha-Momenten beruhen, sind sogar oft richtiger als diejenigen, die auf systematisches, analytisches Denken zurückgehen. Wir sollten sie daher nicht missachten, so ihr Rat.
Viele große Forscher und Erfinder verdanken Geistesblitzen ihre besten Ideen.
Heureka! Von vielen großen Forschern und Genies wird berichtet, dass sie ihre besten Ideen durch plötzliche Eingebungen bekamen. Ob Albert Einstein, der in einem Gedankenexperiment über einen Fahrstuhl nachdachte und dabei die Basis für seine Allgemeine Relativitätstheorie fand, der Chemiker Kekulé, dem im Halbschlaf die Struktur des Benzolrings einfiel oder Niels Bohr, dem ein Geistesblitz die Grundlage für sein Atommodell lieferte.
Wie richtig sind Geistesblitze?
"Die Geschichte der großen Entdeckungen ist voll solcher Geistesblitze, was den Glauben nährt, dass solche Aha-Momente meist die richtige Lösung liefern", sagt Carola Salvi von der Northwestern University. "Aber ob das auch stimmt, wurde bisher nie getestet und kann durchaus ein Irrglauben sei, weil schlicht nur die positiven Fälle erzählt werden."
Um zu testen, wie verlässlich plötzliche Eingebungen wirklich sind, haben Salvi und ihre Kollegen Probanden 50 bis 180 verschiedene Denkaufgaben lösen lassen. Darunter waren klassische Wortfindungsaufgaben ebenso wie visuelle Puzzles. Alle Aufgaben mussten unter Zeitdruck absolviert werden und die Teilnehmer sollten anschließend angeben, ob sie durch analytisches Denke auf die Lösung gekommen waren oder durch einen Aha-Moment.
Spontan, aber korrekt
Das Ergebnis: Die Teilnehmer, denen ein Geistesblitz bei der Lösung half, lagen deutlich häufiger richtig als diejenigen, die systematisch an die Aufgabe herangegangen waren, wie die Forscher berichten. Bei den linguistischen Tests waren 94 Prozent der auf plötzlichen Eingebungen beruhenden Ergebnisse korrekt, aber nur 78 Prozent der durch analytisches Denken zustande gekommenen. Bei den visuellen Puzzeln stand es 78 zu 42 für die Aha-Momente.
"Das zeigt, dass das Vertrauen, das viele Menschen gegenüber solchen Eingebungen haben, durchaus gerechtfertigt ist", sagt Salvi. Ihr Kollege John Kounios von der Drexel University ergänzt: "Das spricht dafür, eine Idee ernst zu nehmen, wenn sie durch einen Geistesblitz entstanden ist. Sie wird zwar nicht immer richtig sein, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist sogar höher als bei einer Idee, die methodisch ausgearbeitet wurde."
Leider unvorhersehbar
Dummerweise hat das Ganze aber einen Haken: Ein Geistesblitz lässt sich nicht erzwingen. "Diese Einsichten sind unbewusst und automatisch, man kann sie nicht drängen", erklärt Kounios. "Der dahinterstehende Prozess benötigt seine eigene Zeit und erst wenn unser Unterbewusstsein alle Punkte verbunden hat, poppt die Lösung in unserem Bewusstsein als Aha-Moment auf."
Im konkreten Test führte diese Unberechenbarkeit dazu, dass die Probanden mit den Geistesblitzen zwar häufiger richtig lagen, dafür aber die erlaubte Zeit überschritten. Denn sie neigten dazu erst dann zu antworten, wenn sie wirklich einen Aha-Moment hatten, statt einfach zu raten. Bei den Aufgaben, bei denen sie analytisch vorgingen, lagen sie zwar oft falsch, hielten dafür aber den Termin ein.
Zeitdruck hemmt Geistesblitze
Und noch etwas kommt hinzu: Je größer der Zeitdruck, desto geringer die Chance, dass ein Geistesblitz kommt. "Angst verschiebt unser Denken von solchen Einsichten hin zum analytischen Denken", erklärt Kounios. "Deshalb sind Terminvorgaben zwar sinnvoll, um Aufgaben rechtzeitig abzuschließen, wenn aber kreative Ideen gefragt sind, ist es günstiger, einen flexiblen Zeitrahmen zu haben."
Denn kommt beim Grübeln keine Eingebung, dann neigen viele Menschen dazu, vor Ablauf der Frist schnell noch eine Lösung zu raten – aber genau dabei werden die meisten Fehler gemacht, wie die Tests zeigen. "Dieses Raten beruht oft auf analytischen, bewussten Gedankengängen, die noch nicht abgeschlossen sind und daher voreilige, falsche Schlüsse fördern", erklären die Forscher. "Eingebungen kommen dagegen erst dann überhaupt ins Bewusstsein, wenn das unbewusste Problemlösen abgeschlossen ist, und sind deshalb oft korrekter." (Thinking & Reasoning, 2016; doi: 10.1080/13546783.2016.1141798)
(Drexel University, 08.03.2016 - NPO)
Nota.* – Schulischer (und jeder andere) Unterricht verlangt Konzentration. Nicht nur ist Schule eine halbe Sache. Sie schadet sogar, wenn sie den Eindruck erweckt, Konzentration sei die Form des eigentlichen Denkens. Das konzentrierte Denken ist immer sekundär und in manchen Fällen nicht einmal erforderlich.
Unsere Schulen erwecken diesen Eindruck, denn ihr Funktionsmodus ist Unterricht und Übung.* Werden gelegentlich kreative Sequenzen eingeflochten, dann unterliegen sie entweder dem Lernziel der jeweiligen 'Stunde' (und sind in Wahrheit Konzentrationsgymnastik), oder lockeres Beiwerk. Auf jeden Fall erschei-nen sie als der uneigentliche Teil des Denkens.
Sie sind aber der eigentliche. Die Schule lenkt den Geist auf Abwege. Das muss man sich erstmal klarma-chen: Die jungen Leute werden acht bis dreizehn Jahre ihres jungen Lebens lang in die Irre geführt – aus-nahmslos und von Amts wegen.
Und wenn sie Pech haben, demnächst sogar ganztags.
JE
*) aus Warum Schule schadet
**) Gr. schôlê hieß noch Muße; aber lat. studium heißt schon Eifer.
Dienstag, 8. März 2016
Donnerstag, 3. März 2016
Ach, nur veröffentlichtes Wissen ist Wissenschaft...
aus Süddeutsche.de, 2. 3. 2016
Fachzeitschriften
Irrer Wettkampf um die meisten Zitate
Forscher fühlen sich gedrängt, so oft wie möglich in hoch bewerteten Magazinen zu publizieren. Das schadet der Wissenschaft.
Von Hubertus Breuer
Neurowissenschaftler in einem Labor an der Universität Marburg einen angenehmen Anblick genießen: In einem Kernspintomografen liegend sahen sie auf einem kleinen Bildschirm frei erfundene, mit ihrem Autorennamen gezeichnete Fachartikel. Die Begeisterung darüber zeigte sich im Nucleus Accumbens, dem im Vorderhirn gelegenen Belohnungszentrum des Menschen. Zwei ihrer Fachkollegen, die Hirnforscher Frieder Paulus und Sören Krach, mittlerweile an der Klinik für Psychiatrie der Universität zu Lübeck, nahmen davon aufmerksam Notiz.
Sie beobachteten, wie das Gehirnareal umso aktiver wurde, je renommierter das Journal war, in dem das Manuskript angeblich erscheinen sollte. Genauer gesagt: Die Freude war umso größer, je höher die Bewertung des Fachblatts nach dem sogenannten "Journal Impact Factor", kurz JIF, war. Sollte das Manuskript etwa in Nature Neuroscience erscheinen (2013 mit einem JIF von14,98), einem der Sterne am Himmel der Hirnforschung, erstrahlte der Nucleus Accumbens wie ein Feuerwerk.
Die Aktivität nahm indes ab, als dieselbe Arbeit im Fachblatt Neuro Image (JIF6,13) präsentiert wurde und geriet zu einem Schummern, als es nur derNeuroreport (JIF 1,68) war. Mit ihrer kürzlich im Fachblatt Plos Oneerschienenen Versuchsreihe wollten Paulus und Krach demonstrieren, wie Naturwissenschaftler das dominierende Belohnungsprinzip des akademischen Betriebs neuronal verinnerlicht hatten. Denn je renommierter das Journal, in dem ein Wissenschaftler publiziert, desto höher fällt auch der persönliche Impact Factor eines Wissenschaftlers aus. Und der bestimmt seinen Marktwert.
"Der Impact Factor spielt eine zentrale Rolle"
Das hat Folgen. Rankings und Statistiken sind heute beliebte Mittel, um Forschung, Institutionen und eben auch Wissenschaftler zu bewerten. Erstellt werden sie mithilfe der Bibliometrie, die akribisch Fachartikel und Zitate zählt. Damit errechnet sie den Impact Factor, die Universalwährung des akademischen Betriebs. "Egal, ob es um die Einwerbung von Drittmitteln, die Bewertung von Fachbereichen, Stellen oder Beförderungen geht," schreiben Paulus und Krach, "der Impact Factor spielt eine zentrale Rolle."
Dabei war dem JIF anfangs eine viel schlichtere Aufgabe zugedacht. Ersonnen von dem US-Linguisten und Gründer des Institute for Scientific Information, Eugene Garfield, sollte der Impact Factor Bibliothekaren helfen, Abonnements für ihre Institution zu verwalten. Er errechnet, wie oft im vergangenen Jahr Artikel zitiert wurden, die in den beiden Jahren zuvor veröffentlicht worden sind - im Falle von Nature Neuroscience 2013 eben 14,98-mal und 2014 dann 16,1-mal. Das soll abbilden, wie wichtig ein Journal im Wissenschaftsdiskurs ist.Nature und Science sind in den Naturwissenschaften die unangefochtenen Platzhirsche.
Je höher der persönliche Impact-Faktor, desto größer die Chance auf Fördermittel
Doch innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Gebrauch des Impact Factors stark gewandelt: Er wird immer mehr genutzt, um auch die Leistung von Forschern individuell zu bewerten. Je mehr ein Wissenschaftler in renommierten Journalen publiziert - bevorzugt als Hauptautor-, desto höher ist seine Punktzahl. Und je beeindruckender diese Ziffer, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Fördergeld zu bekommen oder mit Bewerbungen Erfolg zu haben. Deshalb ziehen gerade Nachwuchswissenschaftler den Impact Factor in Erwägung, ehe sie eine Arbeit zur Publikation einreichen. "Wen man anstellt, sollte man aufgrund der Verdienste, nicht aufgrund des Impact Factors entscheiden", erklärte der Physiker Reinhard Werner von der Universität Hannover im Januar 2015 ausgerechnet in Nature, das sich derzeit in einem olympischen JIF von 41,5 sonnt.
Das Zitat selbst ist kein perfekter Maßstab zur Bewertung der Qualität und Bedeutsamkeit einer Arbeit, denn nur selten erfüllt es die Aufgabe, auf die besten Studien in einem Forschungsfeld zu verweisen. Stattdessen hat es viele Funktionen: auf Resultate anderer Experimente zu verweisen, gelegentlich zu kritisieren und mitunter auch einem befreundeten Kollegen oder dem Doktorvater einen Gefallen zu tun. Außerdem führt es in die Irre, von einem Journal-Ranking auf den Wert eines einzelnen Artikels zu schließen.
Reviews sind beliebt, sie ziehen Zitierungen an wie das Licht die Motten
Im Schnitt entfallen auf nur ein Fünftel der Artikel in einem Fachjournal 80Prozent der Zitierungen. Zeitschriften publizieren wichtige Manuskripte zudem oftmals zu Beginn eines Jahres, damit sie bis zur JIF-Berechnung öfter zitiert werden können. Auch Reviews sind deshalb beliebt, denn die ziehen Zitierungen an wie Motten das Licht. Wer jedoch in einem Nischenfach arbeitet - Tiermedizin zum Beispiel-, dessen Journale stehen im Schatten erfolgreicher Fachgebiete - etwa Molekularbiologie. Solche Themengebiete produzieren naturgemäß weniger Zitate.
Die Folgen: Forscher fühlen sich gedrängt, so oft wie möglich in hoch bewerteten Magazinen zu publizieren, um ihren persönlichen Kurs zu steigern. So machen sie sich den JIF als zentrales Bewertungskriterium ihrer Arbeit zu eigen. Das kann sich direkt auszahlen: In China erhalten Forscher an einigen Universitäten Boni und Gehaltserhöhungen, wenn sie einen Artikel in einem Journal mit hohem Impact Factor platzieren.
In Deutschland kann zumindest der eigene Fachbereich profitieren. Denn bei der leistungsorientierten Mittelvergabe der Hochschulen werden Publikationen mit hohem Impact Factor oft honoriert. Und weisen die Publikationen aus einer deutschen Universität einen besonders hohen Gesamt-Impact- Factor auf, schadet das sicher nicht deren Chancen bei der Exzellenzinitiative.
Ein Marketinginstrument mit zerstörerischer Wirkung
Aus diesen Gründen haben seit 2012 mehr als zwölftausend Forschungsinstitutionen und Wissenschaftler eine Erklärung namens DORA unterzeichnet, die "San Francisco Declaration on Research Assessment". Dort heißt es, der JIF sei "ein Marketinginstrument, das eine unkontrollierte, zerstörerische Wirkung in der Welt der Wissenschaften entfaltet hat".
Doch nicht jeder teilt den Pessimismus. Nature-Chefredakteur Philip Campbell erklärte im Juli 2015 der britischen Times, der JIF sei "ein Maßstab der Bedeutung eines Journals, und es gibt keinen Grund, ihn nicht zu publizieren und Erfolge herauszustreichen".
Dabei sind die Wissenschaftler selbst nicht frei von Schuld. So reagierte in der Studie von Paulus und Krach das Belohnungszentrum gerade derjenigen Forscher am stärksten auf die Aussicht, in Nature Neuroscience zu veröffentlichen, die im Schnitt tatsächlich häufiger in Journalen mit hohem Impact Factor publizieren - ein Mechanismus, der an suchtähnliches Verhalten denken lässt. Der Lust an der Selbstbestätigung können sich auch erfolgreiche Forscher offenbar kaum entziehen.
Und so führen sie - gemeinsam mit fast allen anderen - eine Praxis fort, die, wie es die Fachliteratur inzwischen nennt, zur "Impact-Factor-Manie" führt. Reinhard Werner schreibt dazu in Nature: "Wenn wir glauben, dass wir nach albernen Kriterien beurteilt werden, dann passen wir uns an und verhalten uns albern."
Fachzeitschriften
Irrer Wettkampf um die meisten Zitate
Forscher fühlen sich gedrängt, so oft wie möglich in hoch bewerteten Magazinen zu publizieren. Das schadet der Wissenschaft.
Von Hubertus Breuer
Neurowissenschaftler in einem Labor an der Universität Marburg einen angenehmen Anblick genießen: In einem Kernspintomografen liegend sahen sie auf einem kleinen Bildschirm frei erfundene, mit ihrem Autorennamen gezeichnete Fachartikel. Die Begeisterung darüber zeigte sich im Nucleus Accumbens, dem im Vorderhirn gelegenen Belohnungszentrum des Menschen. Zwei ihrer Fachkollegen, die Hirnforscher Frieder Paulus und Sören Krach, mittlerweile an der Klinik für Psychiatrie der Universität zu Lübeck, nahmen davon aufmerksam Notiz.
Sie beobachteten, wie das Gehirnareal umso aktiver wurde, je renommierter das Journal war, in dem das Manuskript angeblich erscheinen sollte. Genauer gesagt: Die Freude war umso größer, je höher die Bewertung des Fachblatts nach dem sogenannten "Journal Impact Factor", kurz JIF, war. Sollte das Manuskript etwa in Nature Neuroscience erscheinen (2013 mit einem JIF von14,98), einem der Sterne am Himmel der Hirnforschung, erstrahlte der Nucleus Accumbens wie ein Feuerwerk.
Die Aktivität nahm indes ab, als dieselbe Arbeit im Fachblatt Neuro Image (JIF6,13) präsentiert wurde und geriet zu einem Schummern, als es nur derNeuroreport (JIF 1,68) war. Mit ihrer kürzlich im Fachblatt Plos Oneerschienenen Versuchsreihe wollten Paulus und Krach demonstrieren, wie Naturwissenschaftler das dominierende Belohnungsprinzip des akademischen Betriebs neuronal verinnerlicht hatten. Denn je renommierter das Journal, in dem ein Wissenschaftler publiziert, desto höher fällt auch der persönliche Impact Factor eines Wissenschaftlers aus. Und der bestimmt seinen Marktwert.
"Der Impact Factor spielt eine zentrale Rolle"
Das hat Folgen. Rankings und Statistiken sind heute beliebte Mittel, um Forschung, Institutionen und eben auch Wissenschaftler zu bewerten. Erstellt werden sie mithilfe der Bibliometrie, die akribisch Fachartikel und Zitate zählt. Damit errechnet sie den Impact Factor, die Universalwährung des akademischen Betriebs. "Egal, ob es um die Einwerbung von Drittmitteln, die Bewertung von Fachbereichen, Stellen oder Beförderungen geht," schreiben Paulus und Krach, "der Impact Factor spielt eine zentrale Rolle."
Dabei war dem JIF anfangs eine viel schlichtere Aufgabe zugedacht. Ersonnen von dem US-Linguisten und Gründer des Institute for Scientific Information, Eugene Garfield, sollte der Impact Factor Bibliothekaren helfen, Abonnements für ihre Institution zu verwalten. Er errechnet, wie oft im vergangenen Jahr Artikel zitiert wurden, die in den beiden Jahren zuvor veröffentlicht worden sind - im Falle von Nature Neuroscience 2013 eben 14,98-mal und 2014 dann 16,1-mal. Das soll abbilden, wie wichtig ein Journal im Wissenschaftsdiskurs ist.Nature und Science sind in den Naturwissenschaften die unangefochtenen Platzhirsche.
Je höher der persönliche Impact-Faktor, desto größer die Chance auf Fördermittel
Doch innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Gebrauch des Impact Factors stark gewandelt: Er wird immer mehr genutzt, um auch die Leistung von Forschern individuell zu bewerten. Je mehr ein Wissenschaftler in renommierten Journalen publiziert - bevorzugt als Hauptautor-, desto höher ist seine Punktzahl. Und je beeindruckender diese Ziffer, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Fördergeld zu bekommen oder mit Bewerbungen Erfolg zu haben. Deshalb ziehen gerade Nachwuchswissenschaftler den Impact Factor in Erwägung, ehe sie eine Arbeit zur Publikation einreichen. "Wen man anstellt, sollte man aufgrund der Verdienste, nicht aufgrund des Impact Factors entscheiden", erklärte der Physiker Reinhard Werner von der Universität Hannover im Januar 2015 ausgerechnet in Nature, das sich derzeit in einem olympischen JIF von 41,5 sonnt.
Das Zitat selbst ist kein perfekter Maßstab zur Bewertung der Qualität und Bedeutsamkeit einer Arbeit, denn nur selten erfüllt es die Aufgabe, auf die besten Studien in einem Forschungsfeld zu verweisen. Stattdessen hat es viele Funktionen: auf Resultate anderer Experimente zu verweisen, gelegentlich zu kritisieren und mitunter auch einem befreundeten Kollegen oder dem Doktorvater einen Gefallen zu tun. Außerdem führt es in die Irre, von einem Journal-Ranking auf den Wert eines einzelnen Artikels zu schließen.
Reviews sind beliebt, sie ziehen Zitierungen an wie das Licht die Motten
Im Schnitt entfallen auf nur ein Fünftel der Artikel in einem Fachjournal 80Prozent der Zitierungen. Zeitschriften publizieren wichtige Manuskripte zudem oftmals zu Beginn eines Jahres, damit sie bis zur JIF-Berechnung öfter zitiert werden können. Auch Reviews sind deshalb beliebt, denn die ziehen Zitierungen an wie Motten das Licht. Wer jedoch in einem Nischenfach arbeitet - Tiermedizin zum Beispiel-, dessen Journale stehen im Schatten erfolgreicher Fachgebiete - etwa Molekularbiologie. Solche Themengebiete produzieren naturgemäß weniger Zitate.
Die Folgen: Forscher fühlen sich gedrängt, so oft wie möglich in hoch bewerteten Magazinen zu publizieren, um ihren persönlichen Kurs zu steigern. So machen sie sich den JIF als zentrales Bewertungskriterium ihrer Arbeit zu eigen. Das kann sich direkt auszahlen: In China erhalten Forscher an einigen Universitäten Boni und Gehaltserhöhungen, wenn sie einen Artikel in einem Journal mit hohem Impact Factor platzieren.
In Deutschland kann zumindest der eigene Fachbereich profitieren. Denn bei der leistungsorientierten Mittelvergabe der Hochschulen werden Publikationen mit hohem Impact Factor oft honoriert. Und weisen die Publikationen aus einer deutschen Universität einen besonders hohen Gesamt-Impact- Factor auf, schadet das sicher nicht deren Chancen bei der Exzellenzinitiative.
Ein Marketinginstrument mit zerstörerischer Wirkung
Aus diesen Gründen haben seit 2012 mehr als zwölftausend Forschungsinstitutionen und Wissenschaftler eine Erklärung namens DORA unterzeichnet, die "San Francisco Declaration on Research Assessment". Dort heißt es, der JIF sei "ein Marketinginstrument, das eine unkontrollierte, zerstörerische Wirkung in der Welt der Wissenschaften entfaltet hat".
Doch nicht jeder teilt den Pessimismus. Nature-Chefredakteur Philip Campbell erklärte im Juli 2015 der britischen Times, der JIF sei "ein Maßstab der Bedeutung eines Journals, und es gibt keinen Grund, ihn nicht zu publizieren und Erfolge herauszustreichen".
Dabei sind die Wissenschaftler selbst nicht frei von Schuld. So reagierte in der Studie von Paulus und Krach das Belohnungszentrum gerade derjenigen Forscher am stärksten auf die Aussicht, in Nature Neuroscience zu veröffentlichen, die im Schnitt tatsächlich häufiger in Journalen mit hohem Impact Factor publizieren - ein Mechanismus, der an suchtähnliches Verhalten denken lässt. Der Lust an der Selbstbestätigung können sich auch erfolgreiche Forscher offenbar kaum entziehen.
Und so führen sie - gemeinsam mit fast allen anderen - eine Praxis fort, die, wie es die Fachliteratur inzwischen nennt, zur "Impact-Factor-Manie" führt. Reinhard Werner schreibt dazu in Nature: "Wenn wir glauben, dass wir nach albernen Kriterien beurteilt werden, dann passen wir uns an und verhalten uns albern."
Mittwoch, 2. März 2016
Die Geschichte des Teufels.
aus Die Welt, 16. 9. 2015 Gargouille, Notre Dame de Paris
BIOGRAFIE DES SATANS
Den Teufel sind wir los, die Teufel sind geblieben
Für Augustinus war er ein "Lufttier", für Thomas von Aquin der Geist des Bösen. Eine neue Biografie des Teufels zeigt, wie fromme Fiktionen Fakten schufen und Sexualität und Sünde zusammenrückten.
von Friedrich Wilhelm Graf
Im Jahre 1821 veröffentlichte der Berliner Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, der bedeutendste Theologe des modernen Protestantismus, unter dem Titel "Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt" eine zweibändige Deutung überkommener christlicher Glaubensvorstellungen.
Trotz des so kirchlich klingenden Titels wollte Schleiermacher aber keine Dogmatik oder begriffliche Darstellung von Kirchenlehren bieten, sondern eine Analyse der christlich frommen Gemütszustände freiheitsliebender Bürgerinnen und Bürger. Jeder und jede habe in Fragen der Religion das Recht auf Kritik und dürfe nach den Maßstäben des je eigenen "frommen Selbstbewusstseins" entscheiden, was ihm an den uralten Glaubensvorstellungen der christlichen Überlieferung überhaupt wichtig sei.
Doppelporträt Satans und des Papstes, um 1600
Allerdings musste Schleiermacher einräumen, dass in der Bibel und vor allem im Neuen Testament sehr viel vom Diabolos oder Satan und von Dämonen die Rede ist. Auch wusste er um die dogmatische Hartnäckigkeit, mit der vor allem die römisch-katholische Kirche die zerstörerische Macht des als widergöttliche Person mit starker Handlungsfähigkeit gedachten Teufels behauptete.
Zudem kannte Schleiermacher einige jener literarischen "Apologien des Teufels", die in den 1790er Jahren selbst in den "Philosophischen Journalen" kritischer Philosophen erschienen waren. Der systematische Theologe und Philosoph fand aus dieser Lage einen nur widersprüchlichen Ausweg: Er erklärte einerseits mit großer Bestimmtheit, dass die mythologische Vorstellung eines persönlichen Teufels für den christlichen Glauben nicht konstitutiv sei.
Andererseits wollte er keinem Christen das Recht absprechen, im "Privatgebrauch" weiter an einen realiter existierenden Teufel zu glauben. Doch am besten mache man vom Teufel nur noch einen "dichterischen Gebrauch". Das war natürlich eine Anspielung auf den Mephisto in Goethes "Faust".
Mit seinem Versuch der "dichterischen" Rettung des "altbösen Feindes" provozierte Schleiermacher allerdings den Widerspruch Hegels, seines philosophischen Gegenspielers in der Berliner Universität. In den "Vorlesungen über die Ästhetik" erklärte Hegel, dass der Teufel "nichts als die Lüge in sich selbst" und deshalb "eine schlechte, ästhetisch unbrauchbare Figur" sei.
Teuflische Lebensführung
In seiner "neuen Biografie" des Teufels kommt Kurt Flasch ausführlich auf die heftigen Teufelsstreitigkeiten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu sprechen. Ihn interessieren aber nicht allein die vielen gelehrten Kontroversen, die hoch gebildete Theologen, Philosophen, Juristen und auch Ökonomen über das Wesen und die Existenz des Teufels als der Personifizierung der grausamen Macht des Bösen in gelehrten Journalen und dicken Büchern austrugen. Vielmehr will er zugleich auch die starke Präsenz des Teufels im Denken und Leben der einfachen Leute Europas erfassen.
Methodisch orientiert er sich an der Religionstheorie Max Webers. "Zu den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung gehörten in der Vergangenheit überall die magischen und religiösen Mächte und die im Glauben an sie verankerten Pflichtvorstellungen", hatte Weber 1904 in seinem berühmten Aufsatz über "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" erklärt. So will Flasch die äußerst starke Prägekraft des Teufels in der "Lebensführung" der an ihn glaubenden Menschen erfassen. Die Frage der Existenz des Teufels stellt sich für ihn deshalb nicht.
Natürlich glaubt der agnostische Liebhaber eines poetischen Christentums nicht an ein tatsächlich existierendes diabolisches Wesen mit personalen Zügen. Aber Flasch weiß auch: Den Teufel gab es als reale Macht, weil über lange Jahrhunderte hinweg die große Mehrheit der in Europa lebenden Menschen davon überzeugt war, dass trotz Gottes Allmacht diese gefallene Welt vom Teufel beherrscht werde und diabolisch böse Geistwesen, Dämonen zu jeder Zeit und an jedem Ort fehlbare Menschen zum sündhaft falschen Denken und Handeln verführen könnten.
Auch fromme Fiktionen sind Fakten, und die Einbildungen der Glaubensfantasie können harte soziale Realitäten schaffen. Der Teufel machte Angst, schüchterte die Leute ein und erzeugte fortwährend viel Unsicherheit schaffendes Geraune über sein satanisches Treiben.
So ließ er sich auch von den Herrschenden zur Disziplinierung der Untertanen in Anspruch nehmen. Mit dem Hinweis auf Dämonen konnten alle möglichen Katastrophen des Lebens, von Erdbeben und Gewitter über den Krieg bis hin zu Raub, Mord, Totschlag und Krankheit, und alles ansonsten Rätselhafte erklärt werden.
Öffentliche Exorzismen mit Tausenden von Zuschauern dienten nicht nur zur Inszenierung der Macht des Klerus über das fromme Volk, sondern auch zu einer rituellen Vergemeinschaftung, in der gerade durch die Austreibung eines Dämons aus einer Besessenen die lebensbestimmende Macht des Teufels demonstriert wurde.
Und der hinkende Teufel, der nach Schwefel stinkt, Eiseskälte ausstrahlt und als Schwein, schwarze Katze, Kröte, Schlange, Drache oder zotteliger Mensch mit Schwanz und Hörnern auftreten kann, bestimmte die Ordnung des Geschlechterverhältnisses: Die Frau galt als für seine Verführungskünste besonders anfällig.
Doch so sehr Flasch sein Interesse an der Realgeschichte Luzifers oder Beelzebubs betont – sein gelehrtes Buch bietet weithin Ideen- oder Intellektualgeschichte. Von anderen Teufelsforschern oder Kulturhistorikern wie Jeffrey Burton Russell und Nathan Johnstone, die 1984 und 2006 große Bücher über "Lucifer im Mittelalter" und "The Devil and Demonism in Early Modern England" vorgelegt hatten, unterscheidet Flasch sich vor allem dadurch, dass er die große geschichtliche Variabilität der Teufelsvorstellungen betont.
Dem Höllenfürsten wurden im Laufe der Geschichte des Christentums immer neue Fähigkeiten, Künste und Eigenschaften beigelegt. Und nicht nur wandelte sich in den Lehren der Theologen und im Glauben der Leute immer wieder seine Natur, sondern auch der Gebrauch, den Pfarrer und Ordensleute in ihren Predigten sowie politische Herrscher in Frieden und Krieg von ihm machten, unterlag vielfältigem Wandel. Flasch berichtet davon sehr kundig, klar und übersichtlich.
Satans Weg zum Bösen
Satan beherrschte Europa, aber stammte nicht von hier, sondern aus der hebräischen Bibel. In den ältesten Textschichten der hebräischen Bibel spielt er zwar noch keine Rolle, und auch in den Schöpfungsmythen des ersten Buch Mose, vor allem in der Erzählung von der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies, taucht er überhaupt nicht auf.
Im Buch Hiob, entstanden wohl im fünften vorchristlichen Jahrhundert, ist Satan noch kein Feind Gottes, sondern als Mitglied des himmlischen Hofstaates in der Nähe der Gottessöhne an Jahwes Thron mit der Aufgabe betraut, die Menschen zu prüfen. Erst im jüngsten, im ersten vorchristlichen Jahrhundert entstandenen Text der hebräischen Bibel, dem Weisheitsbuch, wird Satan als Verführer mit Adam und Eva in Verbindung gebracht, und nun gilt er als eine neiderfüllte, rachsüchtige Person, die den Menschen Schaden zufügen will.
Kurt Flasch
Im Neuen Testament wird die destruktive Macht des Teufels dann noch einmal deutlich gesteigert. Zwar gelten die Kreuzigung und die Auferstehung Jesu von Nazareth als definitiver Sieg über Tod und Teufel. Aber bis zum Ende der Zeiten mit dem göttlichen Endgericht bleibt Satan in den Sündern mächtig, als Herr dieser gefallenen Welt und radikal böser Verderber jedes, jeder einzelnen. Für die weitere Entwicklung der ebenso komplexen wie in sich widersprüchlichen mythologischen Teufelsvorstellungen ist, was Flasch kenntnisreich zeigt, vor allem der große Kirchenvater Augustin verantwortlich.
In penetrantem Realismus kämpft er gegen alle bloß allegorischen, bildhaften Deutungen des Teufels und der Hölle, schreibt dem Teufel einen richtigen Körper als "Lufttier" zu, das in die Seelen der Menschen eindringen kann, arbeitet die überkommene Vorstellung vom Teufelspakt zu einer hoch differenzierten Theorie aus und lehrt mit unerbittlicher Schärfe, dass keine Taufe gültig sei, der nicht ein Exorzismus vorausgegangen sei. Auch sieht er den großen Bösen vor allem in den sexuellen Begierden des Menschen am Werk, mit der lustfeindlichen Folge, dass nun Sexualität und Sünde ganz eng zusammenrücken.
Doch obgleich sich Augustins Höllenrealismus mithilfe Papst Gregors I. im lateinischen Christentum schnell durchsetzte, unterlagen die mythologischen Vorstellungen von Teufelsreich und Höllenfeuer bis in die frühe Neuzeit hinein vielen Veränderungen, sowohl im theologischen Diskurs als auch in kirchlicher Praxis und populärer Religion der Leute. So wurde das "Lufttier" des Augustinus von gelehrten Theologen und Philosophen im 12. und 13. Jahrhundert nun als reines Geistwesen gedacht, besonders übersichtlich bei Thomas von Aquin.
Erosion der Teufelsvorstellungen
Die vielen inneren Widersprüche der gelehrten Satanologie ließen sich dadurch aber nicht beseitigen. Wie können reine Geistwesen durch ein körperliches Höllenfeuer gepeinigt werden? Wie kann der Teufel als personifiziertes Böses reale Wirkung in unserem Leben und Macht über diese Welt haben, ohne Gottes Allmacht zu beschneiden? Woher kommt der Teufel, wenn nicht Gott selbst, der schöpferische Urgrund aller welthaften Wirklichkeit, ihn geschaffen hat?
Im zweiten Teil schreibt Flasch die Geschichte der allmählichen Erosion der Teufelsvorstellungen. Natürlich spielten dabei neue Kenntnisse über die Natur, kritische Lesarten der Heiligen Schrift und überhaupt mehr philosophische Skepsis gegenüber allen Jenseitstheorien eine gewichtige Rolle.
Aber ebenso wichtig wurde die Einsicht, dass ein so großer antiker Denker wie Aristoteles nirgends vom Teufel geredet hatte und all jene ontologischen Spekulationen über die rein geistige Seinsweise der Engel und auch der gefallenen Engel, der Dämonen, an kognitiver Plausibilität verloren. Wie lässt sich überhaupt erkennen, dass das schlechte Tun von Herrn Müller nicht seinen bösen Neigungen entstammt, sondern auf das Wirken Satans zurückgeht?
Noch der "Katechismus der katholischen Kirche" aus dem Jahr 1993 spricht von der Allgewalt Satans: "Sein Tun bringt schlimme geistige und mittelbar selbst physische Schäden über jeden Menschen und jede Gesellschaft." Doch woher weiß die Kirche das?
Und wie verhält sich die Rede von der Macht des Bösen zur Vorstellung eines guten, gnädigen, auch als allmächtig verehrten Schöpfergottes? Es war der jahrhundertelange theologische und philosophische Streit über solche Fragen, die zum allmählichen Verschwinden des Teufels in den Köpfen und Herzen der Menschen führte.
Flasch meint, dass der Teufel in Europa nun definitiv einen Schwächetod gestorben sei. Auch erklärt er mit einiger Überzeugungskraft, dass ein Christentum ohne Teufel nur blass und auf Dauer nicht überlebensfähig sei. Darüber mag man streiten. Aber gewiss hat Goethe recht: "Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben" (Faust I, Hexenküche). Dass Menschen einander die Hölle bereiten können, weiß auch der gern gelassen heitere, wunderbar unterhaltsame Erfolgsautor Kurt Flasch.
Friedrich Wilhelm Graf ist emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München und Autor zahlreicher Bücher, darunter "Die Wiederkehr der Götter" und "Götter global" ( beide bei C.H. Beck)
aus nzz.ch, 2.3.2016, 05:30 Uhr Mömpelgarder Altar um 1540
Der Teufel in der europäischen Kulturgeschichte
Satan, Diabolos, Gottseibeiuns
Der emeritierte Philosophiehistoriker Kurt Flasch hat der Geschichte des Teufels – den Vorstellungen vom Widersacher Gottes – ein Buch gewidmet, das zu einem Plädoyer für den Atheismus gerät.
von Hans-Albrecht Koch
Von Teufel zu reden, heisst für den aufgeklärten Historiker, von der Geschichte der Vorstellungen zu handeln, die sich die Menschen von ihm machten. Der Teufel stammt zwar nicht aus Europa, doch verbrachte er hier seine besten Jahre, wie Kurt Flasch mit der ihm gelegentlich eigenen «Flapsigkeit» – durchaus sympathisch – in seinem neuen Buch formuliert. In vielerlei Gestalt eroberte der Teufel, der religiösen Welt des Orients entstammend, die Welt. Nicht selten trat die Verkörperung des Bösen als abgefallener Sohn oder gefallener Engel auf die Bühne der Religionsgeschichte. – Als populäre Droh- und Schreckensgestalt ist der Teufel äusserlich durch zahlreiche Deformationen gekennzeichnet, etwa den Hinkefuss. In seiner Wandlungsfähigkeit kommt er nicht nur als dunkler Junker, sondern auch als Drache, Schlange oder Schwein daher – stets mit grosser Intelligenz und Kraft ausgestattet, seine bösen Pläne zu verrichten.
Manichäisches Weltbild
Den emeritierten Philosophiehistoriker interessieren die Lebensverhältnisse des Teufels; eine seiner Fragen lautet: «War er wenigstens verheiratet?» Flaschs Antwort: «Diese Frage würde er schroff zurückweisen; er war wie Gott zölibatär» – sieht man von dem Herrscherpaar ab, das, «teuflische Züge» tragend, in der griechisch-römischen Mythologie über das Totenreich gebietet. Wie in verschiedenen Gestalten, so tritt der Teufel auch unter verschiedenen Namen auf: als Satan im Alten Testament, wo der Widersacher Gottes so viel wie ein Verleumder ist, als Beelzebub, als Diabolos – als «Durcheinanderwerfer» – in der Septuaginta, der griechischen Übertragung der hebräischen Bibel, als Luzifer oder als «Gottseibeiuns», wie er im Deutschen der Neuzeit oft in Unheil abwendender Absicht genannt wurde.
Eine der wichtigsten Funktionen, die der Teufel in der christlichen Diabologie erfüllte, ist, ein strikt dichotomisches Weltbild zu ermöglichen, das die Wirklichkeit in Gut und Böse einzuteilen lehrt und eine von Zweifeln entlastete Begegnung mit ihr erlaubt. Die Überzeugung, Nichtchristen seien «Teufelssöhne», bestimmte allenthalben den Alltag: Nicht nur, dass 1099 die siegreichen Anführer des Ersten Kreuzzugs dem Papst vermelden konnten, sie hätten die Macht «der Sarazenen und des Teufels» besiegt; noch im aufgeklärten Freimaurer-Libretto der «Zauberflöte» hat Papageno keinen Zweifel, dass der ihm begegnende Mohr Monostatos «sicherlich der Teufel» sein müsse.
Eine entscheidende Wandlung des Teufelsbildes betrifft die Entmaterialisierung. Den Teufel und seine Helfer, so er denn von solchen begleitet wurde, stellte man sich in der Antike und im Mittelalter von materieller Körperlichkeit vor. So lehrte Augustinus: «Sie hatten, obwohl nicht von einer Frau geboren, dennoch einen richtigen Körper. Deswegen konnten sie ihn ständig verwandeln – aus jeder beliebigen Spezies, aus jeder Art von Anblick, in jede andere Spezies.» Im Zuge vieler Wandlungen, zu denen etwa auch die Vorstellung von Luftkörpern gehörte, wurden im 13. Jahrhundert Engel und Teufel – dies blieb später in der Neuzeit die gängige Auffassung – zu Geistwesen. Das führte dazu, dass der Teufel, ebenso wie Gott, immer mehr auch unter die Zuständigkeit der Philosophen geriet. Auch sie entwickelten zunächst noch eine ausgewachsene Diabologie, ehe der neuzeitliche Gott der Philosophen-Theologen den Widersacher als ernstzunehmende Grösse verabschiedete.
Gerade zu Beginn der Neuzeit wurde indes der Glaube an die Existenz des Teufels aus verschiedenen Gründen noch einmal zu stärken versucht. Das ging im kirchlich-theologischen Kontext so weit, dass spätestens seit dem 16. Jahrhundert in den Verdacht geraten konnte, ein Atheist zu sein, wer die Existenz des Teufels leugnete. Dessen polemischer Wert in religiös motivierten Konflikten bewährte sich auch in der interkonfessionellen Auseinandersetzung, gleich ob Luther den Papst oder Letzterer den Reformator zu einem Teufel erklärte.
Selten nur brach sich einmal distanzierte Vernunft Bahn, etwa als der niederländische Arzt Johannes Weyer, teufelsgläubig auch er, 1563 ein antidämonistisches Buch veröffentlichte. Mit ihm versuchte er jene Frauen vor der Inquisition zu bewahren, denen bei «abweichendem» Verhalten seit 1486 der «Hexenhammer» des Speyerer Dominikaners Heinrich Kramer das furchtbarste Los – Folter und Scheiterhaufen – androhte. Weyer versuchte sie als «Melancholikerinnen» in die therapeutische Zuständigkeit des Mediziners zu retten. Nicht mit durchschlagendem Erfolg, denn der französische Staatsrechtler Jean Bodin warf schon 1581 mit seinem einflussreichen Buch über die «Dämonomanie» der Zauberer («De magorum daemonomania») das Ruder wieder herum. Erst der aufgeklärte Hallenser Theologe Johann Salomo Semler, einer der Begründer der historisch-kritischen Bibelauslegung im 18. Jahrhundert, unternahm so etwas wie eine Entmythologisierung der Bibel und interpretierte die Mythen von Teufel und Dämonen im Hinblick auf ihre Funktionen.
Plädoyer für den Atheismus
Nicht um den Teufel als Metapher oder das Böse in der Welt als solches geht es Flasch, sondern «um den Teufel als eine eigene Person, ein rein geistiges Geschöpf, als substantia separata, wie ihn die traditionelle Orthodoxie katholischer wie protestantischer Konfession an die Wand gemalt hat». Sein Buch stellt also recht eigentlich ein Stück europäischer Mentalitätsgeschichte dar. Es porträtiert eine Figur, auf die fundamentalistische Ideologien für die Lenkung des Sozialverhaltens – besonders, aber nicht nur der Unterschichten – nicht verzichten wollten. Auch nicht in der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main, wo der junge Goethe den Teufel im Puppenspiel kennenlernte, lange ehe der Dichter des «Faust» den alten Naturteufel vom Platz wies und den Mephisto der Kunstwelt auftreten liess.
Wer die Bücher von Kurt Flasch kennt, wird sich nicht wundern, dass dem Autor seine Geschichte des Teufels zu einem Plädoyer für den Atheismus gerät. Kein anderes Thema erlaubt es ihm so sehr, ganz Voltaire, ganz esprit fort und Freigeist zu sein
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