Die ursprüngliche evolutionäre Funktion des Schlafs.
E. Barlach, Schlafende Vagabunden aus spektrum.de, 05.03.2019 Ursprüngliche evolutionäre Funktion? Im Schlaf reparieren Neurone ihr Erbgut Zeitrafferaufnahmen
aus Zellen zeigen: In aktiven Nerven sind die Chromosomen zu steif, um
repariert zu werden. Erst im Schlaf sind sie so beweglich, dass Schäden
zu beheben sind.
von Lars Fischer Nervenzellen
scheinen den Schlaf zu nutzen, um Schäden an ihrem Genom zu reparieren.
Zu diesem Schluss kommt eine Arbeitsgruppe um den Schlafforscher Lior
Appelbaum von der Bar-Ilan-Universität in Ramat-Gan. Das israelische
Team untersuchte dazu, wie sich die Träger der Erbinformationen, die
Chromosomen, in einzelnen Neuronen von Zebrabärbling-Larven verhalten.
In den zusammen mit der Veröffentlichung in »Nature Communications«
publizierten Zeitrafferaufnahmen der Zellen zeigt sich, dass die
Chromosomen sich kaum bewegen, solange die Nervenzelle aktiv ist. Dabei
sammeln sich allerdings DNA-Schäden an, bei denen beide Stränge der
DNA-Doppelhelix an der gleichen Stelle brechen – um diese potenziell
gefährlichen Doppelstrangbrüche zu reparieren, muss sich das Chromosom
viel stärker bewegen können als während der Nervenaktivität möglich.
Das geschieht im Schlaf. Die
Arbeitsgruppe erzeugte die Zeitrafferaufnahmen, indem sie in das Erbgut
der Zebrabärblinge das Gen für ein unter UV-Licht grün leuchtendes
Protein einfügten, das mit einem an Chromosomen bindenden Molekülteil
gekoppelt war. Auf diesem Weg wurde die Bewegung der Chromosomen in
einzelnen Nervenzellen der nahezu transparenten Larven gut sichtbar. Wie
Appelbaums Team zeigt, bewegen sich die Chromosomen der Nervenzellen in
der Ruhephase doppelt so stark: genug, dass die während der Wachphase
angesammelten Schäden repariert werden. Der Befund passt zu früheren
Ergebnissen, die auf einen Zusammenhang mit der DNA-Reparatur hindeuten.
Video direkt anschauen auf
3-D-Zeitrafferaufnahme
der Chromosomen in einer Nervenzelle. Die farbigen Linien zeigen die
zurückgelegte Strecke der Chromosomen an.
Die Arbeitsgruppe behauptet nicht, damit den ultimativen Nutzen des Schlafs gefunden zu haben – dass
es nicht die einzelne definitive Funktion gibt, darüber herrscht
weithin Einigkeit angesichts der enorm vielfältigen Effekte, die bisher
identifiziert wurden. Studien haben gezeigt, dass Schlaf für so unterschiedliche Aspekte wichtig ist wie die Regulierung der Immunreaktion einerseits und schlichte Müllabfuhr im Gehirn
andererseits. Allerdings ist das Team der Ansicht, mit der
Chromosomendynamik einen aussichtsreichen molekularen Marker gefunden zu
haben, an dem sich Schlaf selbst bei den einfachsten Tieren auf
zellulärer Ebene eindeutig identifizieren lässt. Heute sind sich zwar die meisten Fachleute einig, dass alle
Tiere in einem gewissen Ausmaß schlafen. Doch um das Phänomen quer durch
alle Tiergruppen von Qualle bis Quokka zu erforschen, muss man sicher
sein können, dass das, was man gerade untersucht, auch wirklich Schlaf
ist. Solche Untersuchungen würden womöglich in Zukunft einen Hinweis
darauf geben, was die allererste, ursprüngliche Funktion des Schlafs bei
den gemeinsamen Vorfahren aller Tiere war. Womöglich, deuten Appelbaum
und sein Team an, schliefen die ersten Wesen mit Nervensystem
tatsächlich, um dem Erbgut ihrer Neurone Gelegenheit zu geben, die
Schäden des Tages zu reparieren.
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