Montag, 7. Juli 2014

Tiere und Menschen: Der Unterschied wird immer kleiner.

Hüttengärtner
aus Die Presse, Wien, 8. 7. 2014

Schimpansen gehen mit der Mode
Unsere Cousins rücken uns immer näher: In der Kommunikation der Bonobos hat man erstmals eine hochkomplexe Geste und bei Schimpansen Schmuck bemerkt.


Wenn ein Bonobo, ob nun Männchen oder Weibchen, einem anderen begegnet, der ihm gefällt und mit dem er Spaß haben will, dann richtet er sich auf, stützt sich nur mit einem Arm auf den Boden und streckt den anderen – meist den rechten– zum Gegenüber hin. Dann schwingt er ihn in einem weiten Bogen zum Körper zurück und dreht die Handfläche nach oben. Schließlich dreht er sich um, steuert einen ruhigen Ort an, schaut ab und zu über die Schulter. Das ist eine Einladung zum Sex – Bonobos (Pan paniscus) sind die Schimpansen, die ihn häufig betreiben –, für die Beteiligten ist sie eindeutig. Endlich haben auch Menschen, Emilie Genty und Klaus Zuberbühler (Neuchâtel), die Botschaft verstanden.


Sie beobachten lange schon halb wild lebende Bonobos im Kongo, nun haben sie 20 Einladungen zum Quickie auf Videos dokumentiert – 15 waren erfolgreich. Sie sehen in der Geste nicht irgendein Signal, sondern eines, das den Kontext zwischen zwei Individuen aufnimmt und etwas mit räumlicher Bedeutung übermittelt: Es ist ein Herbeiwinken. Das braucht hohe Intelligenz, bislang traute man diese unseren Cousins nicht zu. Dabei weiß man seit Jane Goodall, dass Schimpansen ein breites Spektrum an Gesten haben, 65 hat man bei den Schimpansen beobachtet, die wir so nennen (Pan troglodytes), das reicht vom Stampfen auf den Boden bis zum Vorzeigen von Blättern.

Lexikon der Schimpansengesten 

Diese Gesten sind nicht so komplex, wie die eine der Bonobos es ist, aber auch sie übermitteln eine Intention, und auch sie haben eine geteilte und etablierte Bedeutung; alle Sender einer Gruppe verwenden sie, alle Empfänger verstehen sie. Wir endlich auch: Catherine Horbait und Richard Byrne (St.Andrews) haben erstmals durch Beobachtung frei lebender Schimpansen in Kenia ein Lexikon erstellt. Aus 4500 Gesten konnten 36 Typen mit einer festen Bedeutung extrahiert werden, 15 hatten eine eindeutige Bedeutung (die anderen können Verschiedenes signalisieren): Wer mit beiden Füßen aufstampft, will, dass der andere mit irgendetwas aufhört; wer einen anderen wegschicken will, schwingt einen Arm vor oder schüttelt ein Objekt; mit so einem winkt er schließlich, wenn ein anderer ihm folgen soll (Current Biology, 3.7.). 

 
Das sind einfache Botschaften, und man weiß nicht, wie fein sie sich verästeln – ob Schimpansen auch über das Wetter plaudern? Allzu weit hergeholt ist es nicht. Zum Gestenschatz gehört bei einsetzendem Regen auch ein Regentanz – man weiß nicht, ob es regionale Dialekte gibt. Das ist stark zu vermuten, denn in einem anderen Segment der Schimpansenkultur, dem des Gebrauchens, gar Erfindens von Werkzeugen, gibt es sie: Nüsse werden mit verschiedenen Techniken geknackt, Termiten mit anderen Methoden geangelt; irgendeiner erfindet sie, die anderen übernehmen sie, dann gehen sie als lokale Traditionen von Generation zu Generation. 



Dabei ging es bisher um Nützliches, aber jetzt kommt auch der Luxus und die Mode ins Spiel: 2010 gingen Edwin von Leeuwen (Nijmwegen) beim Beobachten von Schimpansen in Sambia die Augen über: In einer Gruppe steckte sich ein Weibchen (Julie) einen langen Grashalm ins Ohr, sie rückte ihn gut zurecht und behielt ihn den lieben langen Tag während aller Aktivitäten. Ihr Sohn Jack sah nicht lange untätig zu, er tat es nach, es folgten die beiden besten Freundinnen von Julie, am Ende tat es die ganze Gruppe (Animal Cognition, 11.6.).

Schmuck bezeugt bei uns Intelligenz 

Sie tut es heute noch, obwohl Julie gestorben ist (ihr und ihrem Sohn widmen die Forscher die Arbeit), aber wozu? Bei unseren Ahnen gilt Schmuck als Zeichen sehr hoher Intelligenz, in der abstrakt und symbolisch gedacht wird, das kam vor etwa 70.000 Jahren. Aber was immer Julie damit wollte, sicher ist, dass es bei der ansteckenden Kraft des „grass-in-ear-behavior“ – so es nennt van Leeuwen neutral – um soziales Lernen geht, wie bei den Werkzeugen, wie bei den Gesten. 



Vom Gestikulieren zum Sprechen?

Letztere haben eine noch tiefere Dimension, die jetzigen Beobachtungen beleben die alte Debatte über die Entstehung unserer Sprache. Babys gestikulieren, bevor sie sprechen, gattungsgeschichtlich könnte es auch so gewesen sein, und andere Primaten könnten in der Evolution vorgearbeitet haben: Bei ihnen rückt unter den Sinnen das Auge nach vorn, zugleich werden die Hände frei. Und wenn einer sieht, dass ein anderer die seinen bewegt, macht er das auch, zumindest im Gehirn: Spiegelneuronen imitieren Bewegungen, man hat es an Makaken bemerkt.

Diese Spiegel sind in letzter Zeit etwas umstritten, klar hingegen ist die Organisation des Ganzen: Unsere Sprachzentren sitzen in der linken Hirnhälfte, die Gestenzentren der Schimpansen auch. Zugleich ist die linke Hirnhälfte jene, die die Motorik der rechten Körperhälfte steuert, Hand inklusive. Diese meldet auch nach links oben, was sie macht, so könnten beide gemeinsam den Grundstock aller Sprachen gelegt haben. Das könnte auch dahinterstecken, dass die meisten von uns Rechtshänder sind – und dass die Bonobos mit der Rechten zum Tänzchen laden.



Nota. 

Dass der Übergang von niederer zu höherer Intelligenz ein fließender und der zwischen Menschenaffen und Menschen auch gar kein so großer ist, hat sich langsam herumgesprochen. Dass die Anlagen zum Sprechen und womöglich zur Symbolbildung sich ebenfalls schon bei den Affen auffinden lassen, wäre da keine Sensation.


Als letzten spezifizierten Unterschied hatte ich das ästhetische Vermögen postuliert, das den Menschen befähigt, wertende Urteile zu fällen, die über die Erfordernisse von Selbst- und Arterhaltung hinausgehen. Ein erstes sichtbares Zeugnis dieses neuen Vermögens sollte der Körperschmuck gewesen sein, zuerst in Form von Bemalung; archäologisch belegt durch die regelmäßige Herstellung von verschiedenen Ockerfarben im südlichsten Afrika (ohne dass entsprechende Keramik gefunden wurde). 

Auch geht es nicht um die Schärfe des Begriffs. Ist ein Grashalm im Ohr als Schmuck zu verstehen? Das Nachäffen durch die ganze Gruppe ist jedenfalls ein luxuriöses Verhalten, das, wenn sie es alle treiben, nicht einmal als Partnerwerbung aufgefasst werden kann. Die Frage ist im Ernst ja nicht, ob solches Verhalten in diesem oder dem Fall 'überhaupt möglich' ist, sondern welches die Bedingungen sind, unter denen es in der ganzen Art so habituell werden könnte, dass es der Artentwicklung eine ganz neue Dimension eröffnete.

Man denke an die Ziergärten der pazifischen Laubenvögel. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als darin eine 'ästhetische Praxis' zu erkennen. Aber über Jahrzehntausende ist es dabei geblieben, sie dient der Balz. Wenn ästhetische Urteilskraft im Spiel ist, hat sie jedenfalls zu keinem Zeitpunkt auf andere Gegenstände übergegriffen, sodass sich daraus eine neue kulturelle Tradition hätte entwickeln können.

Wahr bliebe allerdings, dass auch dieser Übergang vom Tier zum Menschen kein Sprung wäre, sondern 'nur' ein Gleiten.
JE




Nota. Die obigen Foto gehören mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE   

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